Was passiert, wenn wir dem Schamgefühl keinen Platz geben.
Scham ist eine Emotion, die wir alle aus verschiedenen Situationen in unserem Leben kennen. Je nach Intensität zeigt sich Scham in Form von Verlegenheit, peinlichem Berührtsein bis hin zum Schuldgefühl. Doch was genau ist Scham und warum empfinden wir sie?
Scham ist eine natürliche Reaktion auf ein Ergebnis oder Verhalten, das wir als unangenehm, unangemessen oder gar falsch empfinden. Es entsteht oft aus dem Gefühl heraus, dass wir vermeintlich die Erwartungen anderer nicht erfüllen oder gegen gesellschaftliche Normen verstoßen. Dies führt mitunter zu starkem Unbehagen und bringt uns dazu, uns zurückzuziehen oder uns zu verstecken.
Scham kann daher etwas sehr Belastendes sein und unser Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Die Folge: Wir fühlen uns minderwertig und kritisieren uns selbst. In extremen Fällen führt Scham sogar zu psychischen Problemen wie Depressionen oder Angststörungen.
Warum sprechen wir nicht über das Schamgefühl?
Es ist interessant, dass das Schamgefühl ein derart großes Tabuthema ist und somit nur selten offen darüber gesprochen wird- selbst im engsten Familienkreis.
Freudige Erlegnisse teilen über die sozialen Medien mit der ganzen. Unangenehme Themen schlucken wir still und schweigend hinunter. Zwei der Hauptgründe sind die Angst vor Ablehnung oder Verurteilung. Das Eingeständnis von Scham kann aber auch als Zeichen von Schwäche gewertet oder als Unzulänglichkeit ausgelegt werden. Das wiederum führt dazu, dass wir uns schämen. Ein Dilemma, dass das Schamgefühl noch verstärken kann.
Hinzu kommt, dass Scham ein sehr persönliches und intimes Gefühl ist und unsere Hemmschwelle, über sehr persönliche und intime Themen zu reden hoch ist. Die meisten Menschen haben es auch schlicht und ergreifend nicht gelernt, über Scham zu reden. Die Scham vor dem Schamgefühl.
Was passiert, wenn das Schamgefühl die Oberhand behält?
Wenn wir uns nicht mit den Situationen auseinandersetzen, in den sich ein Gefühl der Scham in uns breit macht oder wir uns unangenehm berührt fühlen, kann das langfristig Folgen haben.
Dazu gehören:
* Vermeidung: Wenn es sich um immer wiederkehrende Situationen handelt, neigen wir dazu, diese Situationen zu umgehen oder gar zu vermeiden. Die Folge? Wir schränken uns selbst ein. Setzen uns Grenzen und negative Glaubenssätze.
* Verstärkung der Scham: Können wir die Situation nicht vermeiden, dann verstärkt sich das Schamgefühl von Mal zu Mal und zu einem dauerhaften Belastungsfaktor werden.
* Die psychische Belastung wächst: Die unausgesprochene Scham kann sich auf unser Wohlbefinden auswirken und das Selbstwertgefühl senken, psychische Erkrankungen und Depressionen fördern
* Fehlende persönliche Entwicklung: Fehlende Reflektion nimmt uns die Chance, persönlich zu wachsen und uns weiterentwickeln.
* Isolation: Das Gefühl, dass niemand die Situation/Erfahrung versteht, bringt oft einen Rückzug bis hin zur sozialen Isolation mit sich
Persönliche Erfahrungen mit der Scham und Schamgefühl
Ich habe mich fast mein ganzes Leben lang für meinen Körper geschämt. Mittlerweile bekannt: Ich war schon immer übergewichtig. Bis heute sind einzelne Situationen im Kopf hängen geblieben: beispielweise das Umziehen vor dem Sportunterricht. Ganz schlimm. Die hinterste Ecke war meine- gemeinsam mit einer Klassenkameradin, die sich für Ihre unterschiedlich großen Brüste schämte. Duschen nach dem Sport? Sicher nicht. Niemals hätte ich mich vor meinen Mitschülerinnen nackt ausgezogen. Lieber habe ich den Sport geschwänzt und vorgegeben, meine Tage mit starken Schmerzen zu haben. Der Besuch im Freibad? Das selbe Spiel für mich ein echter Spießrutenlauf. Auch ein Stuhl und ein Lattenrost ist unter meinem Gewicht schon kaputt gegangen. Der Moment, wo man nach dem bekannten Loch im Boden sucht, in dem man versinken möchte. Mir fällt gerade auf, dass ich das noch nie offen ausgesprochen habe und nur die Menschen davon wissen, die in der Situation dabei waren.
Später zeigte sich mein körperliches Schamgefühl vor allem in Beziehungen. Ich hielt die Menschen immer sehr lange auf Abstand, so dass sie mir nicht zu nahekamen.
Rückblickend bin ich noch immer verwundert darüber, dass ich mich auch oft geschämt habe, meine Wünsche offen zu äußern. Warum? Ich wollte nicht auffallen oder anecken und habe zu vielem „Ja und Amen“ gesagt.
Heute ist das anders! Die, die mich kennen, wissen das. Ich bin dankbar für die Begegnungen mit Menschen, die mich haben wachsen lassen und/oder, die beide Versionen von mir kennen und mich immer noch (oder gerade deshalb?) lieben und unterstützen.
An dieser Stelle: Danke, Sara<3
Wie kann ein offener Umgang mit Schamgefühl aussehen?
Eines vorab: Schamgefühl ist oft unbegründet und basiert auf unserer ureigenen Interpretation einer bestimmten Situation. „Bestimmt denken die jetzt, dass…“ ein typischer Gedanke, der Schamgefühl in uns auslöst, am Ende aber meist unnötig ist. Habt ihr euch mal gefragt, wie lange ihr über „eine komische Situation“ nachdenkt, die euch auffällt aber nicht betrifft? Mitunter sind es nur Sekunden, weil wir der Situation keine weitere Bedeutung schenken. Ganz einfach, weil sie für uns keine Relevanz und Bedeutung hat.
Dennoch: Es ist wichtig, mit Schamgefühl konstruktiv umzugehen und es nicht zu verdrängen. Sich selbst zu vergeben und sich mit anderen über seine Gefühle auszutauschen, kann helfen, Schamgefühl zu überwinden. Auch das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass niemand perfekt ist und jeder Mensch Fehler macht, kann helfen, sich frei zu machen von Scham.
Und nicht vergessen: Auch aus Schamgefühl kann man etwas für sich mitnehmen und daran wachsen. Es kann uns dazu motivieren, unser Verhalten zu reflektieren, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen oder gestärkt voranzugehen.
Eltern dürfen hier mit Ihren Kindern offen umgehen. Das, was wir Kindern vorleben, sehen sie als „normal“ an. Wenn eine Mutter z.B. ihre Tränen unterdrückt und immer versucht zu lächeln, lernt das Kind daraus, dass Weinen „nicht normal“ ist. Ich bin der Meinung, dass wir grundsätzlich mehr über Gefühle sprechen sollten. Meine Empfehlung an euch: Traut euch- aus der Komfortzone raus! Ihr werdet überrascht sein, welche Veränderung Offenheit mit sich bringt: Sowohl in der Beziehung zu sich, in der Partnerschaft, in der Familie, mit Kindern und auch unter Freunden.
Was nicht ausgelebte Gefühle noch bewirken können, liest du in meinem Blogbeitrag zum Thema „unterdrückte Emotionen“.
Kennst du das Thema aus deinem eigenen Leben? Hast du mit Schamgefühl zu kämpfen? Fühlst du dich mitunter peinlich berührt, bloßgestellt, beschämt oder gedemütigt? Melde dich gerne bei mir. Ich unterstütze dich dabei, dich von diesem unangenehmen Gefühl freizumachen.
Comments